Eine aktive Form der Aufmerksamkeit zur Entwicklung von Entspannung und innerer Ruhe

Obwohl die äußeren Bedingungen im alltäglichen Leben, wie z.B. die Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten und allgemein die technischen Errungenschaften für uns Menschen Erleichterungen und neue Möglichkeiten schaffen, nehmen auf der anderen Seite die Belastungen in psychischer Hinsicht in Form von Stress, Unruhezuständen, Ängsten und Erschöpfungszuständen weiter zu.

 

Heute führen viele äußere Bedingungen zu Stress, Erschöpfung oder angespannter und unruhiger Grundstimmung, von denen ich hier ein paar aufzähle:

                                                                                                        

z.B. Zeitdruck, Informationsflut, Medienkonsum, Mobbing, hierarchische Strukturen, Multitasking, einseitige Spezialisierung, Lügen und Betrug, zunehmende Überwachung und Kontrolle, Ängste.                                                                          

 

Hinzu kommt, dass der einzelne Mensch selbst heute dem Leben häufig mehr oberflächlich, schnelllebig, emotional, konsumierend oder materialistisch gegenüber tritt und damit sich dem Leben gegenüber auch mehr entfremdet fühlt und nicht zu einer tiefen Verbindung finden kann. Sehr oft verausgaben sich Menschen in der heutigen Zeit auf einseitige Weise oder verlieren sich in Emotionen oder fixieren sich in Zwängen. In der Folge entsteht eine Unordnung im Bewusstsein, im Denken , im Fühlen und im Willen und schließlich überträgt sich dieser seelische Zustand auch auf den Körper des Menschen mit Verspannungen und Verkrampfungsneigungen.

 

Wie kann der Mensch sich selbst stärken, sodass eine Zentrierung, innere Ruhe und Entspannung entsteht, die schließlich auch die körperliche Situation ordnet und beruhigt?

 

Der Mensch stärkt sich im einfachsten Sinn immer dann, wenn er sich zu einer Art von Aufmerksamkeit diszipliniert, bei der er sich in einer sehr bewussten, wachen und möglichst konkreten Sinneswahrnehmung zu einer sichtbaren Erscheinung der Außenwelt übt:

 

Er wendet sich den Objekten der Außenwelt in einer ruhigen, beobachtenden Haltung und mit geeigneten Gedanken zu. Es ist dies eine Disziplin, bei der er die Umgebung, die Objekte viel sorgfältiger, der Realität entsprechend und freier von subjektiven und emotionalen Eindrücken anzuschauen übt. Man könnte z.B. ein Haus, eine Pflanze, eine Landschaft, eine Bergformation, einen Sonnenaufgang, ein Tier, einen Menschen oder eine Übung und sogar den eigenen Körper als Objekt der Betrachtung wählen.

Es ist dies eine sehr aktive Form der Aufmerksamkeit oder Beobachtung, bei der unser Denken herausgefordert wird, eine Sache konkret und sachlich zu beschreiben.  Wir lernen die Emotionen und Projektionen oder auch zu starke willentliche Zugriffe zum Objekt der Betrachtung zurückzuhalten und wir lernen, auf die tieferen und feineren Empfindungen zu achten, die hinter den oberflächlichen Emotionen auf ihre Entdeckung warten. Dies ist auch nur möglich, wenn wir ein Objekt eine gewisse Zeit in Ruhe und bewusst anschauen können. Diese Zeit ist heute leider Mangelware, aber wäre sehr notwendig, damit der Mensch wieder mehr zu einer näheren Beziehung und inneren Verbindung zur Außenwelt und damit auch zu Entspannung und innerer Ruhe finden kann.

  

Durch eine beobachtende und klare, gedankliche Beziehung zu einer Sache, die wir in einer möglichst objektiven Wahrnehmung mit klaren Vorstellungen begleiten, entsteht rückwirkend eine Entspannung und Ruhe im Inneren des Menschen.

 

Dieses Prinzip einer beobachtenden, klaren und gedanklich regsamen inneren Haltung wird als Zeugenhaltung (in der altindischen Sprache Sanskrit: saksi) benannt und ist eine aktive Form der Aufmerksamkeit, die zu einer ersten Ordnung im Bewusstsein und im Körper führt. Sie findet im Unterricht bei allen Übungen in ähnlicher Weise eine Anwendung und ist als ein erstes erstrebenswertes Ziel zu verstehen. Diese Haltung wird sich mit der Zeit und mit zunehmender eigener Auseinandersetzung auch auf das Leben übertragen lassen und den Menschen vor Unruhe, Fremdkräften und Ängsten schützen und zu innerer Ruhe und Ordnung und zu einer entspannteren und empfindsameren Nähe zur Materie, zur Umgebung und zu den Mitmenschen führen.